100 % antifeministisch, 0 % egalitär: Das Geschlechter- und Familienbild der Identitären Bewegung
Frauen in der ersten Reihe bei Demonstrationen, auf Postern, in Videos und auf Instragram: Wie keine andere rechte Strömung bemüht sich die Identitäre Bewegung, junge Frauen als wichtigen Teil ihrer Bewegung zu stilisieren. Doch heißt das, dass die Bewegung Frauen fördert, ein hoher Anteil an Frauen dort aktiv ist oder die IB gar feministisch ist? Unterscheidet sie sich darin von alteingesessenen, männlichen dominierten Nazistrukturen?

Der Identitäre Typus Frau
Spätestens seit dem Interview mit dem Spiegel (22/2017) werden diese Fragen gesellschaftlich diskutiert. Das Magazin porträtierte Melanie Schmitz, eine der Hauptakteurinnen der IB auf Bundesebene. Der Spiegel kennzeichnet ein ambivalentes Bild von ihr. Einerseits wird ihr rassistisches Weltbild deutlich, andererseits schafft es der Autor Takis Würger immer wieder, davon abzulenken, indem er auf Schmitzs Äußeres und ihre Selbstdarstellung eingeht. Als „unheimlich“ und als „Postergirl“ wird Schmitz beschrieben, als eine, die mit mit rotem Lippenstift und hohen Wangenknochen „hypnotisiert“. Solch eine Schilderung ist ganz im Sinne der Identitären, denn die Inszenierung als moderne, hippe Bewegung bezweckt genau jenes: Ablenkung von dem Kern ihrer Inhalte durch die Schaffung von genau konzipierten Bildern, welche strategisch im Netz verbreitet werden.
Die aktiven Frauen der Identitären Bewegung sind allerdings keine willenlose Opfer ihrer männlichen Kameraden. Jede der Fauen entscheidet sich aktiv, bei der IB mitzumachen. Sie sind an der Vorbereitung und Durchführung ihrer Aktionen beteiligt und vertreten eine nicht minder rassistische Ideologie der Ungleichwertigkeit, wie ihre männlichen Kameraden. Nichtsdestotrotz lässt sich festhalten, dass die Beteiligung der Frauen von der IB gewollt ist und instrumentalisiert wird. Wenn bei der IB-Demonstration in Berlin im Juli 2017 in der ersten Reihe fast nur Frauen stehen, lenkt dies nicht davon ab, dass der größte Teil der Anwesenden Männer sind. Die IB hat jedoch erkannt, dass Frauen zu einer friedlichen Außendarstellung verhelfen können. Dahinter steckt die Strategie der männlichen Führung. Der europäische Kopf der IB Martin Sellner findet, dass Frauen von Natur aus „emotional erpressbar“ seien und macht sie damit verantwortlich für die „Masseninvasion“.

Melanie Schmitz im Rollenbild der fleißigen Hausfrau
Um Frauen von ihren rassistischen Ideen zu überzeugen, schaffen die Identitären ein Bedrohungsszenario für diese. Nach den sexuellen Übergriffen von Migranten in der Silvesternacht zu 2016 erschien ein Video mit identitären Frauen, die Ängste vor weiteren Übergriffen schürten und pauschalisierend über Geflüchtete sprachen, anstatt die permanente Gewalt an Frauen von allen Seiten der Gesellschaft zu kritisieren. Das Bild des vergewaltigenden Flüchtlings oder Fremden ist ein altbekanntes in der rechtsextremen Ideologie, das nicht nur zu Zeiten des Nationalsozialismus und bereits davor („Schwarze Schmach“) propagandistisch genutzt wurde, sondern auch von NPD und Konsorten bis in die heutigen Tage genutzt wird. Melanie Schmitz und Paula Winterfeldt stellen sich somit in die diskursive Tradition einer Zeit, von der sich die IB stets bemüht, abzugrenzen.
Die IB vertritt ideologisch ein Konstrukt, das sich auf die sogenannte Konservative Revolution bezieht. Die völkisch-nationalistischen Vordenker dieser intellektuellen Strömung vertreten keineswegs ein egalitäres Weltbild. Frauen erfüllen darin primär die Aufgabe der Reproduktion. Ihre Pflicht ist es, das Fortbestehen eines Kollektivs – in diesem Fall der „deutschen Kultur“ – zu sichern. Oswald Spengler, einer der Ideenväter der Identitären Bewegung, schrieb in seiner Abhandlung „Der Untergang des Abendlandes“: „Das Weib erringt seinen Sieg im Wochenbett. Bei den Azteken, den Römern der mexikanischen Kultur, wurde die gebärende Frau als tapferer Krieger begrüßt und die an der Geburt gestorbene unter denselben Formeln bestattet wie die in der Schlacht gefallenen Helden. Des Weibes ewige Politik ist die Eroberung des Mannes, durch den sie Mutter von Kindern, durch den sie also Geschichte, Schicksal, Zukunft sein kann.“ In „Jahre der Entscheidung“ lässt er eine völkische Komponente in sein Weltbild einfließen: „Das Weib von Rasse will nicht ‘Gefährtin’ oder ‘Geliebte’ sein, sondern Mutter, und nicht die Mutter eines Kindes als Spielzeug und Zeitvertreib, sondern vieler: Im Stolz auf den Kinderreichtum, im Gefühl, daß Unfruchtbarkeit der härteste Fluch ist, der ein Weib und durch sie das Geschlecht treffen kann, redet der Instinkt von starken Rassen.“

einen entlarvenden Einblick in die Geschlechterbilder der Identitären bietet das Shirt der hauseigenen Marke „Phalanx“
2016 erschien das Buch „Der Weg der Männer“ des US-amerikanischen Autors Jack Donovan, welches von Martin Lichtmesz (Semlitsch) für den Antaios Verlag übersetzt wurde. Es wurde zum Kultbuch innerhalb der Identitären Bewegung und forderte eine „Reconquista maskuliner Ideale“. Autor Donovan ist „Vertreter eines hypermaskulinen Neotribalismus und erklärten neuen Barbarentums“ (Weiß) und fühlt sich dem germanischen Heidentum verpflichtet. Donovan träumt in seinem Buch von einer Welt, in der wieder das Recht des Stärkeren gilt und in dem Raub, Mord und Vergewaltigung zwangsläufige, wenn auch unschöne Begleiterscheinungen seien. In dieser Gesellschaft müssten Frauen aus Gründen der Reproduktion geduldet werden. Weiß (vgl. 2017) analysiert die Fixierung der Neurechten auf Verbrechen von Migranten treffend, wenn er schreibt, dass diese [Fixierung] der Trauer entspringt, selbst nicht mehr so sein zu dürfen und dem Wunsch, es den fremden Tätern mit gleicher Münze heimzuzahlen. Erneut werden hier die ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen Islamisten und Neurechten an einem heroisch-maskulines Weltbild, welches Frauenverachtung und Homophobie impliziert, deutlich. Der vorbestrafte Mario Müller, zugleich Sprecher der Identitären in Halle, zeigt das heteronormative Selbstverständis der Identitären, wenn er in seinem Buch „Kontrakultur“ auf Seite 257 schreibt: „Haarspray ist für Schwuchteln. Ein Gentleman benutzt Pomade.“

Identitäre Argumentation mit falschen Zahlen: Nicht die Gewalt gegen Frauen sind das Problem, sondern die „ausländischen Täter“
Dieses Familien-und Geschlechterbild wird immer wieder in den Posts der Identitären deutlich. Wenn der Bochumer Marco Müller schreibt: „Das traditionelle Familienbild! <3 Für mich gibt es keinen alternativen Lebensstil.“ und dabei ein PinUp-Bild zeigt, auf dem eine Familienmutter auf Highheels für ihren Ehemann kocht, der gerade mit einer Zeitung unter dem Arm von der Arbeit kommt, schließt dies an ein erzkonservatives Familienbild an, welches heute anachronistisch erscheint. Wenn die Identitäre Bewegung Rheinland ein Video produziert, in dem sie für Kampfsport für Patrioten wirbt, blendet sie parallel zu sich schlagenden Männern einen zarten Frauenkörper ein, der gymnastischen Tanz betreibt. Offensichtlich steht es Frauen in der IB nicht zu, am Kampfsporttraining teilzunehmen, denn für sie sind die „schönen Künste“ reserviert. Kämpferisch erscheinen Frauen in diesem Zusammenhang nur, wenn es darum geht, sich gegen „übergriffige Ausländer“ zu wehren. Dass ihr Weltbild sexistisch ist, beweist die IB spätestens mit dem Bild „Sommer, Sonne, Reconquista“, auf dem der Oberkörper einer Frau im Bikini zu sehen ist, die einen Ball hält mit dem Aufkleber „Still not loving Antifa“. Getreu dem Motto sex sells wird auf objektivierende Art und Weise für politische Inhalte geworben – so wie es die AfD und die NPD bereits getan haben.
Dass sich aber aktive Frauen, die in einer Gesellschaft aufwachsen, die ihnen heutzutage mehr Möglichkeiten zur Entfaltung bietet, als dies noch vor 50 Jahren der Fall war, plötzlich in einem Rollenkonflikt befinden könnten, liegt den Widerspruch ihres Handelns nahe. Frauen wie Melanie Schmitz merken spätestens an den Kommentaren zu ihren Fotos, in welchen Gefilden sie sich bewegen. So erntete sie einen Shitstorm auf Instagram, als sie einen androgynen Kurzhaarschnitt postete. Schmitz zeichnet von sich ein Bild zwischen hausfräulichem Dasein und dem bewussten Spiel mit Gewalt, wenn sie im Kleidchen mit einem Baseballschläger posiert. Wohin politischer Aktivismus in reaktionären Kreisen für Frauen führen kann, wurde deutlich, als die US-amerikanische YouTube-Aktivistin der AltRight-Bewegung Lauren Southern mit abwertenden Kommentaren bombardiert wurde, nachdem sie erklärte, warum sie noch nicht verheiratet sei.

Rechter „Feminismus“
Auf diese widersprüchliche Rollenerwartungen reagiert die IB mit antifeministischen und heteronormativen Positionen. Ende August riefen zwei identitäre Frauen einen Blog mit dem Namen „radikal feminin“ ins Leben. Dort postulieren sie: „Feminismus wird die Probleme unserer Gesellschaft nicht lösen, sondern ist selbst eines davon“. Ihrer Meinung nach sind unterschiedliche Verhaltensweisen von Männern und Frauen von Natur aus bedingt und daher nicht zu ändern. Die moderne und konservative Frau würde ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter gerecht werden wollen, während der Feminimus Familien zerstöre und die Gesellschaft spalte. „Only two sexes – only two genders“ schreibt eine IB-Aktivistin aus Österreich und positioniert sich zu aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen über die soziale Konstruktion des Geschlechts. Die neueste IB-Kampagne nennt sich „120 Dezibel“ und versucht die „metoo-Kampagne“ zu kopieren um darüber den Feminismus für ihre rassistische Propaganda zu missbrauchen, wonach nur die von Ausländern begangenen Übergriffe thematisiert werden. Die Gewalt weisser Männer an weissen Frauen wird ausgeblendet. Zugleich erhofft sich die männerdominierte extreme Rechte mehr Frauen rekrutieren zu können. Frauen in der IB müssen einen Spagat schaffen zwischen der eigenen politischen Aktivität einerseits und den an sie gestellten Erwartungen, Ehefrau, Mutter und Bewahrerin der Volkstradition zu sein. Genau dieses Konzept ist es, was an Geschlechterkonzeptionen der radikalen Rechten anschließt und als Scharnier zwischen den Bewegungen fungiert.

Identitäre in Erklärungsnot
Quellen und Verweise
https://www.tagesspiegel.de/themen/agenda/frauen-bei-der-identitaeren-bewegung-rechte-schwestern-ganz-vorn/21005940.html
https://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/love-blowjobs-hate-antifa/story/23269483
http://www.taz.de/!5482501/
http://www.huffingtonpost.de/2017/11/16/identitaere-bewegung-frauen_n_18564044.html
http://www.claudiabruns.de/downloads/aufsaetze_pdfs/Bruns(2011)_Eros,%20Macht%20und%20M%C3%A4nnlichkeit..pdf
Funktionen und Handlungsräume von Frauen in der „Identitären Bewegung“
Weiß, Volker (2017): Die Autoritäre Revolte, Klett-Cotta